Auf einer Skala von eins bis zehn, wie weit sind wir in Deutschland beim Thema „Digitalisierung im Alltag“?
Dr. Urban Keussen: Wir stehen etwa bei einer Fünf. Es gibt viele Bereiche, die weitgehend digitalisiert sind, etwa Online-Banking. In anderen Bereichen, zum Beispiel in vielen Verwaltungen, wird dagegen noch viel mit Papier gearbeitet.
Wie stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern Europas da?
Dr. Urban Keussen: Wir Deutschen sind eher vorsichtig unterwegs. Viele begleitet eine Sorge, wenn es etwa um das Thema Datenschutz geht. Wenn sich jemand eine App runterlädt, lesen sich die wenigsten die Nutzungsbedingungen durch und geben ihr Einverständnis. Bei Geschäftsvorgängen schaut man wiederum sehr argwöhnisch darauf, was mit den persönlichen Daten passiert. Im europäischen Vergleich liegen wir daher etwas weiter hinten.
Wie kann man diesen Zwiespalt auflösen?
Dr. Urban Keussen: Ich glaube, es braucht zwei Dinge: Einen hohen Nutzen für die Kunden. In dem Moment, wo Menschen einen positiven Nutzen erfahren, sind sie auch bereit, sich weiter der Digitalisierung zu öffnen. Und wir brauchen eine sehr strikte Anwendung der Datensicherheitsregeln, damit das Vertrauen weiterwachsen kann.
Wie verargumentieren Sie die Dringlichkeit von Digitalisierung? Oder anders gefragt: Was sagen Sie den Menschen, die keine Lust haben, sich digitalen Prozessen anzuschließen?
Dr. Urban Keussen: Der digitale Prozess ist zunächst einmal ein Angebot. Wir hoffen natürlich, dass es so gut gestaltet ist, dass viele Kunden darin einen persönlichen Vorteil erkennen, weil es komfortabel und schnell ist und viele Dinge erleichtert. Ich kann es jederzeit in Anspruch nehmen und es so nutzen, wie es in meinen Zeitplan hineinpasst. Man kann über Digitalisierung auch zusätzliche Informationen bereitstellen, wenn man etwa an den intelligenten Stromzähler denkt: Wie viel Strom verbrauche ich? Wie hoch ist meine Rechnung? Wie und wo kann ich noch Strom sparen? Hier erfahren viele Kunden einen echten Nutzen. Digitalisierung muss aber auch ein Stück weit automatisch funktionieren. Ein Stromspar-Algorithmus läuft automatisch im Hintergrund und erfordert keine ständige Eingabe des Kunden.
Wie kann EWE die Menschen beim Thema unterstützen?
Dr. Urban Keussen: Die meisten Anwendungen finden in unserem Zuhause statt. Durch Digitalisierung können wir mehr Komfort schaffen, etwa durch die Hausbeleuchtung, die ich per Smartphone steuern und automatisieren kann, oder auch die Kamera vor meiner Haustür. Das gibt vielen Menschen mehr Sicherheit. Und ich kann Geld sparen, wenn ich energieeffizient lebe, weil ich darüber Bescheid weiß, wo und wie viel Energie ich verbrauche. Das schont den Geldbeutel. Es gibt viele Dinge, die heute schon möglich sind, aber die Entwicklung schreitet rasant voran. Irgendwann wird das Haus mit dem E-Auto sprechen und fragen, woher der Strom zum Laden kommen soll. Aus der Photovoltaikanlage? Oder aus dem Stromspeicher? Aus der Steckdose? Die Energie steht nicht alleine da, wir erleben die fortschreitende Digitalisierung in allen Lebensbereichen.
Wie lässt sich Digitalisierung mit den Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz sinnvoll verbinden? Können Sie Beispiele nennen?
Dr. Urban Keussen: In den vergangenen zwei Jahren haben wir erlebt, wie viele Geschäftsreisen wir durch digitale Kommunikation ersetzen können. Allein dadurch wurde sehr viel CO2 eingespart. Die Transparenz des Energieverbrauchs und die daraus resultierenden Einsparmöglichkeiten dienen am Ende der Nachhaltigkeit. Oder das Thema Elektromobilität: Viele haben noch Vorbehalte und fragen sich: Wo lade ich mein Auto? Wie bezahle ich das? EWE möchte hier gute Lösungen anbieten, um den Umstieg von einem Verbrenner zum E-Auto so leicht wie möglich zu machen.
Wie sieht Ihre Wunschvorstellung von Digitalisierung 2030 aus? Welche Alltagsprozesse und -Szenarien erleben wir dann?
Dr. Urban Keussen: Ich gehöre zu den Menschen, die sich sehr für die Digitalisierung begeistern. Neben den eben angesprochen Hilfestellungen im Alltag, wird uns Digitalisierung auch dabei helfen, unsere Probleme in Sachen Demografie zu lösen. Wir werden einen fortschreitenden Mangel an Fachkräften erleben, den wir durch Digitalisierung ersetzen müssen, etwa durch Roboter. In Zukunft geht es nicht nur um den Haushaltsroboter, sondern auch den Pflegeroboter, der die alternde Bevölkerung mitbetreuen kann. Serviceroboter, etwa in der Gastronomie, kommen jetzt bereits zum Einsatz. Solche Automatisierungsprozesse werden weiter in den Alltag einziehen, wichtig ist aber: Es für Mensche ohne Bezug zur Digitalisierung auch noch ohne funktionieren. Wir dürfen keine Menschen ausschließen, sondern stets die Haltung bewahren, dass Digitalisierung so gestaltet werden muss, dass sich möglichst viele anschließen wollen.